Zwei Afghanen absolvieren Praktikum im Weißenfelser Heinrich-Schütz-Haus
Nael Rasteen und Ruhullah Rahimi gehören seit Mitte März 2025 zum Team des Heinrich-Schütz-Hauses. Die beiden Afghanen sind im Jahr 2021 vor den Taliban aus ihrer Heimat geflüchtet und haben in Weißenfels Obhut gefunden. Im Rahmen eines Praktikums übernehmen sie im Heinrich-Schütz-Haus vor allem Aufgaben bei der Veranstaltungsorganisation und führen Gäste in ihrer Heimatsprache Dari durch das Museum. „Die Beschäftigung von Nael und Ruhullah ist eine Bereicherung für unsere Stadt. Menschen, die sich aktiv ins städtische Leben einbringen, unterstützen wir gern. Wir setzen damit ein starkes Zeichen für Integration, Vielfalt und gegenseitigen Respekt in Weißenfels“, sagt Oberbürgermeister Martin Papke. Im Interview sprechen die beiden Afghanen über ihre Beweggründe, nach Deutschland zu kommen. Außerdem erzählen sie, welche Ziele und Träume sie für die Zukunft haben.
1. Sie stammen aus Afghanistan. Wie lange sind Sie schon in Deutschland und was waren die Gründe, um in diesem Land Zuflucht zu suchen?
Nael: Wir kommen beide aus Afghanistan, Ruhullah stammt aus Masar-e Sharif in der Provinz Balch und ich aus Pol-e Chomri in der Provinz Baglan. Ich bin seit März 2021 in Deutschland. Zuvor habe ich als Dolmetscher für die Bundeswehr in Afghanistan gearbeitet. Als die deutschen Soldaten meine Heimat verlassen mussten, haben sie mir und meiner Familie angeboten, aus Afghanistan fortzugehen. Das war etwa ein halbes Jahr vor der Machtübernahme der Taliban. Ich habe damals nicht lange überlegt und bin mit meiner Frau und unseren beiden Kindern über das Ortskräfteprogramm nach Deutschland geflogen wurden.
Ruhullah: Bei mir war es etwas anders. Ich habe als investigativer Journalist für das deutsche Unternehmen MiCT – Media in Cooperation & Transition gGmbH gearbeitet. Nach der Machtübernahme durch die Taliban im Sommer 2021 war mir klar, dass ich Afghanistan verlassen musste. Meine Artikel waren sehr kritisch und gefielen den neuen Machthabern nicht. Die MiCT bot damals all ihren afghanischen Mitarbeitern an, sie zu evakuieren. So konnten meine Frau, unsere drei Kinder, meine Schwägerin und ich nach Deutschland kommen.
2. Wo haben Sie die deutsche Sprache gelernt? Wie klappt es mit der Verständigung im Alltag und auf Arbeit?
Ruhullah: Wir haben erst in Weißenfels angefangen, Deutsch zu lernen; zuerst in der Zukunftswerkstatt Mitteldeutschland/BVU am Schützenplatz, dann in der „Alpha Sprachschule“ in der Nachbarschaft zum Heinrich-Schütz-Haus. Das historische Gebäude sahen wir deshalb oft von außen. Auch in der Volkshochschule haben wir beide einen Sprachkurs absolviert. Ich komme inzwischen sehr gut im Alltag mit der deutschen Sprache zurecht. Nur wenn ich zum Arzt muss, ist es oft noch sehr schwer, sich zu verständigen.
Nael: Für mich ist Deutsch noch immer nicht sehr leicht. Bis zum Niveau B1 kam ich noch ganz gut zurecht, aber jetzt wird es langsam kompliziert. Ich verstehe das geschriebene Wort oder wenn jemand langsam Hochdeutsch spricht. Aber ich habe noch einige Mühen bei der Aussprache und finde auch nicht immer die richtigen Wörter.
3. Was waren Ihre Beweggründe, im Heinrich-Schütz-Haus zu arbeiten? In dem Zusammenhang: Haben Sie eine musische Ausbildung oder ein entsprechendes Studium absolviert oder ist es einfach Ihr Interesse an klassischer Musik?
Nael: Wir wollten Kontakte zu Menschen haben, die sich in Weißenfels in die Kultur einbringen. Wir wollten lernen, wie in einem deutschen Büro gearbeitet wird und wie man eine Veranstaltung organisiert. Außerdem wollten wir unser Alltagsdeutsch verbessern und uns gern in die Gesellschaft in unserer neuen Heimat einbringen.
Ruhullah: Uns ist vor allem wichtig, etwas über deutsche Geschichte und Kultur zu lernen. Das Heinrich-Schütz-Haus bietet das zwar nur als kleinen Auszug, aber all das ist trotzdem sehr interessant. So gab es auch in Deutschland von 1618 bis 1648 schon einmal 30 Jahre Krieg. Seit in Afghanistan 1978 die Revolution ausgebrochen ist, haben wir dort nun über mehr als 40 Jahre keinen Frieden mehr erlebt. Für die afghanische Kultur ist das schrecklich. Denn auch dieses Land hat große Musiker; zum Beispiel den berühmten Sänger und Lieddichter Mohammad Hussain Sarahang (1924–1983), der letztes Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Leider gibt es bis heute in seinem Heimatort Kabul kein Museum für ihn.
Nael: Ja, aber wenn die Afghanen aus ihrer Geschichte lernen wollen, brauchen wir auch in Afghanistan Museen wie hier in Deutschland. Das Heinrich-Schütz-Haus ist für uns ein sehr schönes. Es ist etwas Besonderes, weil es im Original erhalten ist und behutsam saniert wurde. Das ermöglicht allen Menschen, die Vergangenheit zu begreifen. Außerdem ist die Ausstellung gut gelungen, denn sie ist modern gestaltet und zeigt alte Musikinstrumente und Noten. Nichts daran wirkt gekünstelt. Das alte Haus als Ort bleibt trotzdem authentisch. So etwas wünschen wir uns für unsere alte Heimat auch.
Ruhullah: Wir beide haben seit der Schulzeit keine Musik mehr gemacht. Umso schöner ist es, dass wir jetzt in Weißenfels viele Möglichkeiten haben, ganz unterschiedliche Musik live zu erleben, auch im Heinrich-Schütz-Haus.
4. Wie lange werden Sie im Heinrich-Schütz-Haus tätig sein? Was sind Ihre Aufgaben?
Nael: Unser freiwilliges Praktikum geht vom 14. März bis zum 30. Mai 2025. Wir sind immer freitags im Heinrich-Schütz-Haus und haben hier verschiedene eigenverantwortliche Aufgaben. Vieles machen wir aber auch mit dem Team zusammen.
Ruhullah: Vor allem bereiten wir zwei wichtige Termine vor, die Herr Dr. Richter mit uns geplant hat: Da ist zum einen der Internationale Museumstag mit einer Sonderführung auf Deutsch und Dari. Wir werden als Übersetzer vor Ort sein und bereiten die Einladungen zur Führung und zur Weißenfelser Museumsnacht vor. Das Heinrich-Schütz-Haus plant zur Museumsnacht einen deutsch-afghanischen Abend mit Musik, einem Vortrag und einer Fotoschau sowie mit kulinarischen Spezialitäten aus Afghanistan.
Nael: Wir arbeiten gerade auch an der Übersetzung einer Broschüre über das Heinrich-Schütz-Haus vom Deutschen und Englischen ins Dari. Das ist eine echte Herausforderung für uns, weil es in unserer Sprache manche Begriffe wie den „Gasthof“ oder das „Geleitshaus“ gar nicht gibt.
Ruhullah: Das Praktikum ist nicht Teil einer Maßnahme. Wir gehen nach wie vor zum Sprachkurs und kümmern uns um unsere Familien. Das Praktikum ist für uns aber eine gute Möglichkeit, uns ehrenamtlich zu engagieren. Im Moment bekommen wir und unsere Familien noch Bürgergeld. Aber wir möchten so schnell wie möglich unser eigenes Geld verdienen.
5. Was möchten Sie bei Ihrer Arbeit erreichen?
Nael: Wir möchten ein Teil dieser Gesellschaft sein und Schulter an Schulter mit den Menschen in unserer neuen Heimat leben und arbeiten. Wir wollen endlich in Frieden leben mit allen Menschen. In einem Frieden, den es bei uns in Afghanistan einfach noch nicht gibt. Deutschland ist für uns ein sehr gutes Land zum Leben und zum Arbeiten.
6. Wo sehen Sie Ihre Perspektiven, was sind Ihre Wünsche an die Zukunft?
Nael: Mein Traum ist es, eine eigene Handelsfirma zu gründen, die sich auf medizinische Produkte spezialisiert. Diese gibt es in Afghanistan nicht ausreichend. Dabei möchte ich gern in Weißenfels oder in Sachsen-Anhalt bleiben, wenn ich hier meinen Traum verwirklichen kann. In der Zukunft hoffe ich, dass es auch weiterhin einen guten kulturellen und wirtschaftlichen Austausch zwischen Deutschland und Afghanistan geben wird, der dazu beiträgt, dass die Menschen in beiden Ländern wie bisher einander mit Respekt begegnen.
Ruhullah: Ich möchte gern in Deutschland ein kleines Geschäft eröffnen und dort alles für Kinder anbieten: Bücher, Kleidung, Lernmittel, Schulranzen und vor allem auch hochwertiges Spielzeug.